Über das "Sitzen"
Viele RollstuhlnutzerInnen sitzen täglich 14 bis 16 Stunden in ihren Rollstühlen. Da wird es wichtig, gelegentlich seine Lage verändern zu können. Deshalb sollten Sie prüfen, ob Sie eine Sitzwinkelverstellung (Kantelung) und/ oder eine Rückenwinkelverstellung benötigen. Mit Hilfe dieser Verstellmöglichkeiten können Sie die Belastungen Ihres Sitzfleisches verändern und so gesundheitliche Problematiken, die durch immer gleiche Belastungen auftreten, verhindern helfen.
Neben den verschiedenen Möglichkeiten die Sitzgeometrie flexibel einstellen zu können, stellt die Wahl des richtigen Sitzkissens und eines geeigneten Rückens den entscheidenden Faktor für möglichst beschwerdefreies Sitzen dar. Sitz- und Rückenkissen haben eine Vielzahl verschiedener Aufgaben zu erfüllen, die wir im Folgenden kurz darstellen wollen. Die für die Sitzkissen aufgeführten Beschreibungen gelten im Wesentlichen auch für die Rückenkissen.
Aufgaben des Sitzkissens:
1.) Druck verteilen
Im Allgemeinen verbinden wir mit „Bequemlichkeit“ Begriffe wie weich, anschmiegsam, usw.
Physikalisch gesehen entsteht ein bequemes Sitzgefühl dadurch, dass sich das Sitzmöbel unserer Körperform anpasst. Durch Einsinken in das Polster vergrößert sich die Auflagefläche. Dadurch wird das Körpergewicht auf eine größere Fläche verteilt und somit der Druck auf unser Sitzfleisch verringert.
Man kann sich das leicht vorstellen: Ein Sitzbrett hat keine Möglichkeit sich unserer Körperform anzupassen. Deshalb wird unser Körpergewicht über eine verhältnismäßig kleine Fläche des Pobereichs, insbesondere in den etwas hervorstehenden Bereichen des Pos, den Sitzbeinhöckern, auf das Brett abgetragen. Wegen der kleinen Fläche entstehen verhältnismäßig hohe Drücke, die wir als unangenehm empfinden.
Hingegen passt sich ein weiches Polster der Körperform an, wodurch die Auflagefläche größer wird. Dadurch wird der auf das Sitzfleisch wirkende Druck geringer, was wir als bequemer empfinden.
Ein gutes Sitzkissen sollte zudem den Druck so verteilen, dass zwischen angrenzenden Zonen keine hohen Druckunterschiede entstehen, die zur Bildung unerwünschter Scherkräfte führen.
Eine gute Druckverteilung ist besonders bei langem Sitzen wichtig, um Gewebeschäden (Dekubitus) zu verhindern. Mit einer richtigen Sitzkissenversorgung kann die Sitztoleranz deutlich erhöht werden“, der Rollstuhlnutzer also länger beschwerdefrei Sitzen.
Hinweis:
Bei der Beantragung von Hilfsmitteln allgemein und Sitzhilfen im Besonderen, sollte man darauf achten, Begriffe wie „Bequemlichkeit“ oder „Komfort“ zu vermeiden. Solche Kategorien sind in der Basisversorgung der gesetzlichen Krankenkassen nicht vorgesehen. Die Kosten für „komfortable“ oder „bequeme“ Sitze werden deshalb von den GKVen nicht übernommen.
Besser ist es deshalb, diese Begriffe mit "beschwerdefreies Sitzen" zu umschreiben und den konkreten medizinischen Nutzen aufzuzeigen. (z.B. weniger Gelenk-oder Rückenschmerzen, geringerer Druck auf Muskeln, keine Verspannungen, u.ä.)
2.) Scherkräfte gering halten
Scherkräfte treten auf, wenn innerhalb eines Körpers verschieden gerichtete Kräfte wirken.
Beispiel:
Jeder hat schon mal erfahren, dass man mit nacktem Po auf einer glatten Unterfläche „kleben“ bleiben kann. Will man dann z.B. auf dem Po nach vorne rutschen, wollen Haut und äußere Gewebeschichten nicht mitrutschen, während innen liegende Gewebeschichten der eingeleiteten Rutschbewegung folgen und ihre Lage bereits verändert haben (Verdrillung der Haut- und Gewebeschichten). Wir merken das an einem unangenehmen „Ziehen und Zwicken“.
Bei vorgeschädigten Gewebe können solche Scherkräfte zu ernsthaften Problemen führen. Durch geeignete Ausformung des Sitzkissens können Rutschbewegungen, die solche Scherkräfte verursachen, minimiert werden.
3.) Feuchte und Wärmetransport gewährleisten
Sitzkissen sollten so konstruiert sein, dass sie eine Belüftung des Sitzfleisches zulassen und Feuchte, die durch Schwitzen entsteht, abführen. Feuchtigkeit im Sitzbereich begünstigt die Gefahr des „Wundsitzens“ erheblich.
Eine wichtige Rolle spielen hierbei auch die Sitzbezüge. Sie sollten atmungsaktiv sein.
4.) Das Sitzen stabilisieren / symmetrisch sitzen
Durch eine geeignete Ausformung sollen Sitzkissen den Körper in einer möglichst „gesunden“ Haltung stützen, so dass auch langes Sitzen gut verträglich ist. Dabei ist darauf zu achten, dass die Stützfunktion eine ausreichende Bewegungsfreiheit beim Sitzen und Fahren des Rollis (insbesondere bei manuellen Rollis) gewährleistet.
Die Stützfunktion erhält das Kissen i.d.R. durch die Verwendung etwas härterer Schaumstoffe (Kaltschaum), die für den notwendigen Halt des Nutzers im Rolli spezielle Ausformungen aufweisen.
5.) Fehlhaltungen korrigieren (Positionieren)
Bei Haltungsschäden oder Störungen der Körpersymmetrie können speziell geformte Kissen die Gefahr von Muskelverspannungen und Schmerzen verringern und daraus resultierenden, schwerwiegenden Erkrankungen vorbeugen.
Es gibt auch spezielle, kleb- oder klettbare Positionierungssets (verschieden geformte Schaumstoffteile), mit denen die gewünschten zusätzlichen Stützeffekte erreicht werden können.
6.) Dekubitus Prophylaxe
Die Dekubitus Prophylaxe ist einer der wichtigsten Punkte beim Thema Sitzen. Unter Dekubitus versteht man eine durch lang anhaltende Druckbelastung entstandene Gewebeschädigung. Das Schädigungsbild reicht von leichter Hautrötung bis zu tief in das Gewebe reichende, schlecht heilende, entzündete Wunden.
Bei RollstuhlfahrerInnen ist der gefährdetste Bereich i.d.R. der Po im Bereich der Sitzbeinhöcker, da hier die höchsten Drücke auftreten und die absorbierende Gewebeschicht relativ dünn ist.
Bei der Konstruktion von Sitzkissen gilt es, besonders im Bereich der Sitzbeinhöcker, die Druckbelastung des Gewebes so gering wie möglich zu halten. Dies versucht man z.B. durch Materialien wie Fluide zu erreichen.
Fluide sind Öl-Wachs Mischungen, die sich durch das Körpergewicht der Anatomie des Körpers anpassen und diesen umfließen. Anders als Schaumstoffe, haben Fluide nicht das Bestreben sich bei Entlastung wieder in die Ursprungsform zurück zu stellen. Die fehlenden Rückstellkräfte erlauben in Bereichen punktueller Belastungen (Sitzbeinhöcker) diesen Belastungen einfach nachzugeben, ohne gleichzeitig, wie beim Schaumstoffen und in geringerem Maße auch bei Gelen, einen Gegendruck auf die belasteten Körperstellen zu entwickeln.
Auch Konstruktionen mit mehreren Luftkammern und individuell einstellbaren Drücken haben sich bewährt.