3.) Private Aufzahlungen

Über Festbeträge, Vertragspreise und Pauschalen

Ich höre immer wieder von Versicherten der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV), dass ihnen ihr Sanitätshändler sagt, sie müssten einen Teil der Kosten für das gewünschte Hilfsmittel selbst übernehmen. (Zusätzlich zu den 10,00€ Zuzahlung)

Begründet wird das damit, dass die Krankenkasse eine Pauschale bezahle, die die Kosten für das Hilfsmittel nicht abdecke.
Dem steht der gesetzliche Auftrag der GKV gegenüber, Hilfsmittel, soweit sie medizinisch notwendig sind, in voller Höhe zu bezahlen.

Wie kommt es nun dazu, dass von den Händlern gelegentlich dennoch private Aufzahlungen der Versicherten erwartet werden und sind solche Aufzahlungen statthaft?
Um zu wissen, worüber wir sprechen, sollen zuerst einige Begriffe geklärt werden.

 

Begriffe

Festbeträge:

Der GKV-Spitzenverband bestimmt Hilfsmittel, für die Festbeträge festgesetzt werden (vgl. § 36 SGB V).

Mit den Festbeträgen sollen die Kosten für bestimmte Produktgruppen begrenzt werden. Diese Begrenzung berührt aber nicht die Leistungspflicht der GKV, medizinisch notwendige Versorgungen komplett zu übernehmen.

Dem Versicherten bleibt es freigestellt eine „höherwertige“ Versorgung zu wählen, die GKV ersetzt aber nur den Festbetrag für die medizinisch notwendige Versorgung.
Derzeit sind für folgende Produktgruppen (PG) Festbeträge vorgesehen:

    • Einlagen (PG 08)
    • Hörhilfen (PG 13)
    • Inkontinenzhilfen (PG 15)
    • Hilfsmittel zur Kompressionstherapie (PG 17)
    • Sehhilfen (PG 25)
    • Stomaartikel (PG 29)

Für die Produktgruppe 18 „Kranken- und Behindertenfahrzeuge“ (Rollstühle) sind keine Festbeträge vereinbart.

Vertragspreise

Zwischen den einzelnen Krankenkassen (ihren Landesverbänden oder Arbeitsgemeinschaften und den Leistungserbringern (in Einzelfällen auch direkt mit dem individuellen Leistungserbringer) werden Verträge geschlossen über

  • Einzelheiten der Versorgung mit Hilfsmitteln,
  • deren Wiedereinsatz,
  • die Qualität der Hilfsmittel und
  • zusätzlich zu erbringende Leistungen sowie
  • die Anforderungen an die Fortbildung der Leistungserbringer,
  • die Preise und
  • die Abrechnung

SGB V §127 Abs 5

Die Krankenkassen haben ihre Versicherten über die zur Versorgung berechtigten Vertragspartner und auf Nachfrage über die wesentlichen Inhalte der Verträge zu informieren. Sie können auch den Vertragsärzten entsprechende Informationen zur Verfügung stellen.

 

Die Vertragsvereinbarungen der GKV müssen öffentlich zugänglich sein, bzw. auf Anforderung zugänglich gemacht werden. (SGB V §127 Abs 5). Einige GKV bieten die Vereinbarungen auf Ihren Websites zum Download an.
Beispiele für derartige Vereinbarungen finden Sie z.B. auf der HP der AOK Bayern.    

Die in diesen Verträgen verhandelten Preise nennt man dann auch "Vertragspreise". Diese Vertragspreise können jedoch äußerst unterschiedlich ausgestaltet sein:

 

Versorgungspauschale (Fallpauschale)

Bei dieser Vergütungsform wird eine Pauschale für die gesamte Versorgung vereinbart (z.B. für Rollstuhl "XYZ": 3.000,00 Euro für 5 Jahre)

Mit dieser Pauschale sind dann, je nach vertraglich geregelter Leistungsbeschreibung, alle(!) Leistungen dieser Versorgung (im vertraglich definierten Versorgungszeitraum) abgegolten (Wartungen, sicherheitstechnische Kontrollen, Reparaturen etc.).

Die Krankenkasse bezahlt dem Leistungserbringer die eindeutig beschriebene Leistung für einen definierten Zeitraum i.d.R. im Voraus. Es gibt auch Regelungen, in denen der Leistungserbringer die Zahlung in Teilbeträgen in vertraglich vereinbarten Intervallen erhält. (ähnlich einer Miete)

Bei dieser Vergütungsform ist der Leistungserbringer (Händler) Eigentümer des Hilfsmittels.

Kauf/ Wiedereinsatz

Alternativ zur Fall-/Versorgungspauschale können Krankenkassen Hilfsmittel leihweise zur Verfügung stellen. Man spricht hier von „Hilfsmittel zum Wiedereinsatz“. Das Hilfsmittel bleibt im Besitz der Krankenkasse und geht, wenn es nicht mehr benötigt werden sollte, zurück in den Hilfsmittel-Pool der Krankenkasse.

Bei dieser Vergütungsform wird in der Regel entweder ein vertraglich vereinbarter Höchstpreis oder ein vertraglich vereinbarter Rabatt auf den Herstellerlistenpreis in Ansatz gebracht.

Zusätzlich bekommen die Leistungserbringer ihre Aufwände für die Rückholung, Einlagerung, Wartung und für die Aufbereitung für den Wiedereinsatz dieser Hilfsmittel (meist in Form von sogenannten "Rückholpauschalen“) vergütet.
Weiterhin sind bei dieser Vergütungsform Kosten für Reparaturen gesondert abrechnungsfähig.

Informationspflicht der GKV

Im Übrigen haben die Krankenkassen ihre Versicherten über die zur Versorgung berechtigten Vertragspartner und auf Nachfrage über die wesentlichen Inhalte der Verträge zu informieren. (SGB V §127 Abs 5).

Wieso dann Aufzahlung?

Wie begründen sich die Forderungen der Händler nach Aufzahlung?

Falsche Verordnung

Ihr Arzt hat Ihnen einen „Leichtgewichtsrollstuhl“ verordnet, sie stellen aber fest, dass der Ihnen zu schwergängig ist und Sie auf Grund Ihrer Behinderung einen leichtgängigeren „Adaptivrollstuhl“ benötigen. Um den Adaptivrollstuhl von der Krankenkasse bezahlt zu bekommen, benötigen Sie eine Verordnung für einen Adaptivrollstuhl. Sie müssen also noch einmal Ihren Arzt aufsuchen und sich eine passende VO erstellen lassen.

Haben Sie die nicht, müssen Sie die Mehrkosten bezahlen, weil der Händler mit der Krankenkasse nur den verordneten Leichtgewichtsrollstuhl abrechnen kann.

Tipp:

      •  Für den Händler mag es interessanter sein, wenn Sie den Differenzbetrag selbst bezahlen, weil er Ihnen gewiss nicht den Rabatt einräumen wird, den er der Krankenkasse einräumen muss. Verlassen Sie sich also lieber nicht darauf, dass Ihnen der Händler zu einer neuen Verordnung raten wird.

Aufzahlung wegen medizinisch nicht begründbarem Mehraufwand

Haben Sie eine Verordnung z.B. für einen Adaptivrollstuhl, zahlt die Krankenkasse je nach Vereinbarung dafür evtl. nur bis zu einem bestimmten Höchstpreis. (Was die Händler gelegentlich als Pauschale bezeichnen) Haben Sie sich einen Rolli ausgesucht, der über diesem Höchstpreis liegt und es gelingt Ihnen nicht, die Notwendigkeit dieses Rollstuhls medizinisch zu begründen, müssen Sie die Mehrkosten dafür (in Abstimmung mit Ihrer Krankenkasse) selbst übernehmen.

Sie sollten also Eigenschaften dieses Rollstuhls finden, die die Modelle, die von der Krankenkasse komplett bezahlt werden, nicht aufweisen. Diese Eigenschaften müssen medizinisch relevant sein.

Tipp:

        • Aussagen wie „gefällt mir besser“, „ist komfortabler“ und ähnliche, sollten Sie vermeiden. Medizinisch relevante Gründe könnten z.B. sein, dass man schmerzfrei sitzt, dass die Durchblutung der Beine gewährleistet ist oder Ähnliches.
        • Wenn Sie genau wissen, welchen Rollstuhl Sie benötigen, können Sie Ihren Arzt bitten, genau diesen Rolli zu verordnen (Hersteller, Typ, Ausstattungsmerkmale). Diese Verordnung muss der Arzt aber genau begründen. Die Arbeit spart er sich gerne und verordnet nur die Produktgruppe. (in diesem Beispiel den Adaptivrollstuhl)

 

Fazit

Grundsätzlich lässt sich also sagen, dass Hilfsmittel, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, vollumfänglich von den gesetzlichen Krankenkassen zu übernehmen sind.

Die zwischen den Krankenkassen und Leistungserbringern vertraglich geregelten Vergütungsformen dürfen von den Leistungserbringern nicht dazu missbraucht werden, Versicherte zu privaten Aufzahlungen zu nötigen! Auch bzw. erst recht nicht mit der Argumentation, die Pauschale der Kasse reiche nicht.

Der Leistungserbringer hat letztlich mit Vertragsabschluss bzw. mit seiner Anerkennung bestehender Verträge auch die grundsätzlich vorzunehmenden aufzahlungsfreien Hilfsmittelversorgungen anerkannt.

Ausnahme: Der Versicherte möchte auf eigenen Wunsch ein ´höherwertigeres´ Hilfsmittel  (z. B. ein optisch ansprechenderes Produkt).
Auch wenn der Versicherte mit dem Händler solche privaten Aufzahlungen vereinbart (aushandelt!),sollte er dennoch seine Krankenkasse darüber in Kenntnis setzen.

Tipp: 

Sollten Sie ein „höherwertiges“ Hilfsmittel wünschen, fragen Sie bei Ihrer Krankenkasse nach, wie viel sie für die Versorgung mit dem notwendigen Hilfsmittel bezahlt.

Die Herstellerlistenpreise finden Sie in der Regel auf den Websites der Hersteller. Bei Rollstühlen sind die Preise meist in den Bestellbögen angegeben, die man herunterladen kann.

Anhand der Differenz zwischen dem Erstattungsbetrag und dem Herstellerlistenpreis können Sie den Preis abschätzen, der Ihnen von Ihrem Sanitätshaus berechnet werden wird. Achten Sie darauf, dass Sie die Preise ohne MwSt vergleichen. Nun ist es an Ihnen, die Höhe der Aufzahlung auszuhandeln. (Die GKV bekommen 20-30% Rabatt)

Viel Erfolg!