TypeA ParkCruiser 3

Whill Type-A

Type A HavingFun

In unserer Serie zu Rollstuhldesign habe ich an verschiedenen Stellen die mit Rollstühlen verbundenen negativen Konnotationen thematisiert. Dabei schlug ich vor, Rollstühle nicht als Behindertenfahrzeuge zu konzipieren, sondern als Fahrzeuge zu begreifen, die auch von Menschen mit Behinderung genutzt werden können.

Zu meiner Überraschung stieß ich in den Weiten des Internets auf eine US-Firma, die genau diesen Ansatz verfolgt.

Die Rede ist von der Fa. WHILL und ihrem „Personal Mobility Device“ (zu deutsch etwa Personenfahrzeug), dem Type-A.

Der Sprecher der Fa. Whill, Herr Mizushima, erklärte mir, dass man den Begriff „Rollstuhl“ vermeide, um nicht von vorneherein negative Assoziationen mit dem Fahrzeug zu verknüpfen (siehe unten). Man verwende deshalb den Begriff „Personal Mobility Device“.

Nun macht natürlich eine neue Bezeichnung aus einem alten Konzept noch nichts Innovatives. Das weiß man auch bei Whill und hat das Konzept „Rollstuhl“ gründlich überarbeitet.

Herausgekommen ist ein ungewöhnliches Fahrzeug mit ansprechendem Design.

In einem regen E-Mail Verkehr erklärte mir Herr Mizushima ausführlich den neuen Type-A und beantwortete geduldig die meisten meiner vielen Fragen. Dafür an dieser Stelle herzlichen Dank.

Einige grundlegende Ideen und gut durchdachte Details, die ich im Folgenden vorstellen möchte, scheinen mir dabei besonders bemerkenswert.

Seitenarme

Das Auffallendste, und wie mir scheint, das wichtigste Merkmal des Type-A sind natürlich die Seitenteile mit den schräg nach oben stehenden Auslegern. Hier versucht Whill ein Problem anzugehen, das bisher von allen Rollstuhlherstellern ignoriert wurde:
Die unzureichende Möglichkeit, sich bei konventionellen E-Rollis nach vorne hin abstützen zu können.

Wer als unerfahrener Rollstuhlnutzer mit einem herkömmlichen E-Rolli fährt, fühlt sich wie auf einem Katapult und bereitet sich instinktiv darauf vor, jeden Augenblick nach vorne aus dem Sitz geschossen zu werden. Man fühlt sich wie der berühmte Affe auf dem Schleifstein. Es gibt keine Möglichkeit sich vernünftig nach vorne abzustützen und die üblichen Armlehnen sind zum Festhalten denkbar ungeeignet.

Natürlich verliert sich diese Unsicherheit mit zunehmender Erfahrung, aber es bleibt ein Mangel, sich nicht vernünftig abstützen zu können.
Die Entwickler bei Whill haben mit den auffallenden Seitenarmen eine Möglichkeit ersonnen, diesem Problem etwas entgegenzusetzen.

Type A Arrm oben unten

Die Seitenarme lassen sich hochklappen (Transfer). Das Fahren ist dann allerdings nicht mehr möglich. (Siehe Sitz)

Steuerung

Die Bedienelemente sind im Bereich der linken und rechten Handauflagen angeordnet. Links ist die dreistufige Geschwindigkeitsvorwahl und die Kontrollleuchten für den Ladezustand der Batterie angeordnet. Rechts gibt es eine mausähnliche Steuereinheit, die analog einem klassischen Joystick funktioniert. Zumindest auf den Fotos scheint die besondere Form dieser Bedieneinheit besonders ergonomisch zu sein. Wie bei einer Computermaus kann man die Hand auf dem Bedienteil ruhen lassen.

Type A Control li. vonOben

Type A control re

Für Linkshänder lassen sich die beiden Steuereinheiten vertauschen. Das mausähnliche Bedienteil kann auch durch klassische Joysticks ersetzt werden.

Vorderräder

Nutzer klassischer Rollstühle kennen das Phänomen, dass sich beim Wechsel der Fahrtrichtung von vorwärts nach rückwärts (oder umgekehrt) die Lenkräder um 180° drehen. Dies führt besonders an Engstellen (Aufzug, öffentliche Verkehrsmittel, usw.) schnell zu Problemen, wenn die Lenkräder an der Engstelle blockiert werden. Schlimmstenfalls steckt man dann verkeilt fest.

Dieses Problem hat man beim Type-A mit einer recht aufwendigen Konstruktion gelöst:

Type A Detail Wheel

Type A Vorderrad

Die klassischen Lenkräder sind durch spezielle Räder ersetzt worden, die in der Lage sind auch seitlich zu rollen. Dazu wurde der Reifen durch ein System von 24  kleinen Rollen ersetzt, die, ähnlich einer Perlenkette, auf einer Spezialfelge angeordnet sind.

Der Vorteil dieser Lösung liegt darin, dass das Rad beim Lenken seine Lage nicht verändert.
Es wird interessant sein zu sehen, wie sich die aufwendige Lösung in der Praxis bewährt. (Schadensanfälligkeit, Haltbarkeit)

Allrad-Antrieb

Mit der unveränderlichen Lage der Vorderräder ergibt sich die Möglichkeit, ohne großen technischen Aufwand auch die Vorderräder antreiben zu können.

Beim Type-A sind die Vorderräder jeweils mit einem Riemen mit den hinteren Antriebsrädern verbunden, sodass man tatsächlich ein allradgetriebenes Fahrzeug hat.

Wie man im Videos sieht, bewältigt man mit diesem Antrieb auch lockeren Kies. Vermutlich ist der Allradantrieb auch bei der Hindernisüberwindung hilfreich. Leider gibt es dazu aber bisher kein überzeugendes Video.

Ein Nachteil dieser Konstruktion dürfte der hohe Energieverbrauch sein. Der Rollwiderstand der Vorderräder ist vermutlich wesentlich höher, als der herkömmlicher Luftreifen und der Allradantrieb fordert natürlich zusätzliche Energie.

Daraus ergibt sich dann in Verbindung mit 50Ah Batterien (Blei Säure!!!) eine sehr geringe Reichweite von etwa 20km (Herstellerangabe!).

Sitz

Um mit dem Fahrzeug auch an Tische heranfahren zu können und um den Transfer zu erleichtern, lässt sich der Sitz elektrisch nach vorne fahren.

Type A Sitz VorneHinten

Type A Rucksack

Ein schönes Detail ist die Formgebung der Rückenstütze. Sie erlaubt die bei Rollstuhlnutzern (mangels Alternativen) so beliebte Anbringung eines Rucksacks auf einfache Weise. Ein schönes Beispiel dafür, wie man mit etwas Fantasie schon mit geringem Aufwand wesentliche Verbesserungen erreichen kann.

Besonders schade finden wir, das Whill den in früheren Entwürfen vorgesehenen fest eingebauten Stauraum unter dem Sitz gestrichen hat.

Wohin mit Geldbörse, Haustürschlüssel und anderen Kleinkram? Auch Whill bietet nun nur die lächerliche Notlösung eines angehängten Netzes an.

Ein Wort zum Design

Auf den ersten Blick scheint der Type-A ein gut gelungenes Stück Design-Arbeit zu sein. So sah das auch die Jury des Red Dot Awards 2014, eines bedeutenden internationalen Design Wettbewerbs, und zeichnete den Type-A mit einem Anerkennungspreis aus (Honorable Mention) Toll! Herzlichen Glückwunsch!

Bei genauerem Hinsehen, hat man allerdings den Eindruck, als hätte der Type-A 2 Räder zu viel: Man fragt sich, warum die Hinterräder sich nicht hinter der kreisrunden Seitenverkleidung befinden.

Die Antwort ist einfach: Ursprünglich war der Type-A als Zusatzantrieb für manuelle Rollstühle entworfen worden. Bei diesem Entwurf fuhr man von hinten mit dem Rollstuhl zwischen die Seitenteile und dockte dann den Type-A an. Bei diesem Konzept stimmte die Lage der Hinterräder mit der der Seitenteile überein. Später hat man dann das Konzept geändert und aus dem Zusatzantrieb ein eigenständiges Fahrzeug entwickelt, ohne das ursprüngliche Konzept den geänderten Anforderungen angepasst zu haben.


Hat aber für eine Red Dot Auszeichnung trotzdem gereicht…

Fazit:

Leider können wir den Type-A nicht persönlich in Augenschein nehmen und ein Fazit auf Grundlage von Fotos, Videos und Befragungen zu ziehen, ist natürlich eine fragwürdige Vorgehensweise.

Dennoch scheint uns besonders der Ansatz mit den Seitenarmen interessant zu sein, versucht man doch hier ein grundlegendes Problem der E-Rollstuhl Ergonomie zu lösen.
Die aufwendige Vorderrad Konstruktion betrachten wir mit Skepsis. Hier muss die Zukunft zeigen, wie sich die Räder in der alltäglichen Praxis bewähren werden.

Mit Unverständnis betrachten wir die anachronistische Batterietechnik und die viel zu geringe Reichweite des Fahrzeugs. Es reicht nicht aus, mit seinem E-Rolli ein paar Runden auf der Terrasse drehen zu können, man will auch mal einen Ausflug machen können.

 

Info

Zurzeit stehen 50 Prototypen zur Auslieferung an Kunden in USA bereit. 

Weitere Infos gibt es hier. (HP WHILL)
Weitere Videos gibt es bei YouTube

Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von Whill.